Samstag, 15. Oktober 2016

Hab ich eigentlich schon mal DANKE gesagt?

Ich gebe zu, die Geschichte von Mr. Hodgkin und mir hat soooooooo nen Bart. Ja, auch ich kann mich manchmal nicht mehr reden und denken hören. Das Problem ist, dass ich immer noch Krebsthemen habe, die ich mir einfach von der Seele reden MUSS. Mein Leben hat sich nachhaltig verändert. Jeder neue Meilenstein auf meinem Weg nach Mr.Hodgkin ist gleichzeitig eine neue Herausforderung, weil ich dann immer wieder mit der Veränderung konfrontiert werde und manchmal kann ich diese noch nicht akzeptieren. Das braucht dann Zeit und Gespräche, damit ich mich besser anpassen kann. 
Doch es gibt sie, diese Freunde, Verwandten und Bekannten, die mir unentwegt geduldig zuhören zu jeder Tages-und Nachtzeit. Die mich aufrichtig fragen wie es mir geht und mich akzeptieren ohne meine Masken. Die mit mir durch alle Berge und Täler wandern. Die mir die Daumen für jede medizinische Untersuchung drücken. Die mich zu sich einladen oder mich besuchen, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Die mir Schaf-Fotos schicken und Schafzeugs schenken, weil sie wissen, dass ein Schäfchen mich zum Schmunzeln bringt. Die mal ein bis 10 Bier mit mir zu viel trinken. Die mich lieben, obwohl ich manchmal eher zum Hassen bin. Die mir ehrlich sagen, wenn ich sie nerve oder sie zu kurz kommen. Die einfach da sind auf ihre ganz persönliche Art und Weise.

All jenen möchte ich sagen, dass das, was sie für mich tun, nicht selbstverständlich für mich ist. Dass IHR nicht selbstverständlich für mich seid ♥ Ja, ich möchte sogar dem lieben Gott danken, der sich so viel anhören muss und der mich jeden Tag aufs Neue dazu ermuntert weiterzumachen und dankbar zu sein. Dankbar für EUCH und jedes Gänseblümchen am Wegesrand. Am Wegesrand meines Lebens. 


Euer schwarzes Schäfchen ♥

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Drei Betten am Meer

Vor einer Woche packte mich die Sehnsucht nach Meer, weshalb ich ganz spontan meine Reha-Freundin Moni und ihre Familie in Schleswig-Holstein besuchte.
Ich verspürte das Bedürfnis nach einem kurzzeitigen Tapetenwechsel und vor allen Dingen nach Seeluft & nordischer Landschaft.

Ich suchte mir eine gemütliche Ferienwohnung in Backstein-Optik. Irgendwas mit viel Natur drumrum. Die bekam ich auch, inklusive zum Ferienhaus. Vor dem Fenster stand ein Birnenbaum. Die Früchte hingen malerisch an den kargen Ästen und der Herbstnebel schmiegte sich um die Krone des Baumes. Vereinzelt schienen ein paar Sonnenstrahlen durch das mittlerweile lichte Blattwerk. Welch tollen Kontrast ergaben die grazilen Strukturen des Birnenbaumes zum rustikalen Backstein!

Mein Urlaubsquartier besaß drei Schlafzimmer. Das war eigentlich nicht geplant, aber ich las mir die Beschreibung des Objekts im Voraus nur flüchtig durch. Es gab zumindest ordentlich Rabatt, weil ich allein anreiste. Ein wirklich tolles Preis-Betten-Verhältnis. Ich überlegte wie ich den Wohnraum in drei Tagen wohl am effektivsten nutzen konnte, weshalb ich mir vornahm jede Nacht ein anderes Bett zu testen. Es lief drauf hinaus, dass ich letztendlich doch immer auf der Couch vor dem Fernseher einschlief mit Kopfkissen und Zudecke aus Schlafzimmer 1. Das Sofa war einfach saumäßig bequem. Bequemer als alle drei Betten zusammen. Dicke Polster in knalligem Ampelrot. Hatte zwar was von Pornocouch-Optik, aber eben bequem.

Ich erwähnte ja bereits, dass ich in den Norden fuhr um meine Freundin Moni zu besuchen. Nun, ich bat Moni vor meiner Anreise um einen Gefallen.  Ich wollte unbedingt ein Schaf  streicheln und fragte sie nach einem Bauern mit wolligen Vierbeinern. Moni und ihre Frau Svenni nahmen meinen Wunsch sehr ernst. Sie setzen alles daran um mir diesen zu erfüllen. Svenni fragte Bauer Nomme: "Kennst du einen Bauern in Salem, der Schafe besitzt? Unser Besuch möchte gern ein Schaf streicheln". Nomme, völlig von den Socken, antwortete mit einem roten Fragezeichen-WhatsApp-Emoji und musste das wohl erstmal sacken lassen. Doch Svenni gab nicht nach und hakte nochmal nach, wild entschlossen mit der Mission: "Wir brauchen ein Schaf für Jule". Mit Erfolg!! Nomme nannte ihr ein, zwei Kontakte von Schafsbauern, sowie den genauen Sitz deren Herde. Svenni verband ihre morgendliche Walking-Runde mit einem Zwischenstopp an der besagten Schafskoppel und machte die flauschigen Vierbeiner ausfindig. Ich bin noch immer völlig verzückt vom Engagement meiner Freundinnen.


Am Nachmittag konnte ich dann gleich eine ganze Herde Heidschnucken sehen und einige Exemplare streicheln. Oh (m)hääääähhppy day ♥




Samstag, 8. Oktober 2016

Die Sache mit dem Mittelweg

Es ist Dienstag. 7.05 Uhr. Gestern noch Tag der Deutschen Einheit. Ich steige in den Aufzug, drücke den Knopf. Station 4. Die wuchtigen Türen des Fahrstuhls schließen sich. Ich schaue in den Spiegel und sehe mein blasses Gesicht, das im Neonlicht noch bleicher wirkt als es ohnehin schon ist. Mein Herz rast schneller als der Aufzug über die Etagen des Krankenhauses. Mein Hals schnürt sich zusammen und auf meiner Brust sitzt ein Betonklotz, der meine Atmung blockiert. Tränen steigen mir in die Augen. Warum muss ich jetzt heulen? Muss doch jetzt nur meiner Arbeit nachgehen, sonst nichts. Doch Gefühle überwältigen mich. Gefühle, die hier nicht hingehören, die sich aber trotzdem in den Mittelpunkt rücken. "Station 4, Ebene 4. Waldkrankenhaus", spricht eine eher monotone emotionslose Roboterfrauenstimme, die mich verbal aus dem Aufzug prügelt, während sich die Stahltüren auseinander schieben. Ich schließe für einen kurzen Moment meine Augen und atme durch die Betonmauer auf meiner Brust hindurch. Dann bündle ich meine Kraft und setzte langsam einen Schritt vor den anderen. Auf dem Weg ins Schwesternzimmer lasse ich mit jedem zurückgelegtem Meter auch ein klein wenig von meiner Angst zurück und versuche immer mehr im Hier und Jetzt anzukommen. Mit OP-Plänen und Klemmbrett unter dem Arm verschwinde ich im Patientenzimmer und werde schon erwartungsvoll empfangen. Meine Patienten freuen sich auf mich. Darauf richte ich meinen Fokus, weshalb es mir recht schnell gelingt, mich wieder in meine Arbeit zu vertiefen.

Ein Stück Normalität und gleichzeitig Sicherheit für mich dieser Arbeitsalltag. Es ist ein Kampf, weil diese Klinikatmosphäre mich aufwühlt und ich am liebsten wegrennen will. Mein Herz schlägt ganz unkontrolliert, weshalb Betablocker im Moment in meiner Handtasche nicht fehlen dürfen. Habe doch die letzten Jahre genug in Arztpraxen und Krankenhäusern verbracht und begebe mich nun freiwillig jeden Tag dorthin. Gleichzeitig sehe ich darin eine Chance, weil ich mich meiner Angst jeden Tag aufs Neue stellen kann und die Erfahrung mache, dass ich jetzt in Sicherheit bin. Alle Schreckensbilder und Gefühle habe ich in einem Tresor verschlossen. Wahrscheinlich ganz unbewusst, denn ich kann mich nicht an den Code erinnern, mit dem ich diese gesichert habe. Auf jeden Fall muss ihn jemand geknackt haben, denn alles was ich fühle ist so real und bedrohlich wie damals. Doch die Frage ist nicht wie ich diesen Tresor wieder verschließe, sondern wie ich damit umgehe, dass alle in ihm verschlossenen Erinnerungen langsam ans Tageslicht treten. Manchmal möchte ich fliehen und mich verkriechen, aber ich gebe dem nicht nach. Ich habe beschlossen zu kämpfen und deshalb mache ich einfach weiter. Jeden Tag. Auch, wenn das mit Beton auf der Brust nicht so einfach ist. Doch ich sehe die kleinen Erfolge. Ich war nicht einmal krank seitdem ich meine neue Arbeit angetreten habe und immerhin habe ich schon über einen Monat durchgehalten.
Das Leben mit Krebs ist schwer, aber das Leben danach ist nicht wirklich leichter. Weil alle erwarten, dass man wieder normal wird und vor allen Dingen, weil ich das auch von mir selbst irgendwie erwarte. Es ist nicht immer leicht den Mittelweg zu nehmen. Ich meine nach vorn zu schauen und sich trotzdem die Zeit zu geben, um das Erlebte zu verarbeiten. Das Vergangene ist ein Teil von mir, aber es sollte nicht mein Leben bestimmen. Deshalb bleib ich morgens nicht im Bett liegen, sondern stehe auf, gehe auf Arbeit und nehme ab jetzt eben die Treppe anstelle des Aufzugs.