Donnerstag, 27. August 2015

Auf WanderSCHAFt


Frei nach dem Motto: ,,Das Wandern ist des Müllers Lust", habe ich mich mit Wanderschuhen und meinem kleinen grünen Zelt auf die Reise begeben, in die Urlaubsregion Berchtesgaden. Dort verbrachte ich gemeinsam mit meiner liebsten Tante ein paar wundervolle Tage. Ich zeltete direkt an der Saalach, ganz idyllisch, auf einem überschaubarem und ruhig gelegenem Campingplatz. Rund um die Uhr von frischer Bergluft, Wäldern und Wasser umgeben, fühlte ich mich wohl behütet von Mutter Natur. Für mich gibt es nichts Schöneres!

Ich finde es immer wieder erstaunlich wie wenig man eigentlich benötigt um sich tatsächlich glücklich zu fühlen. Ein Dach über dem Kopf, ein paar warme Socken an den Füßen und ringsum das, was man mit Geld nicht bezahlen kann- die Schönheit der Berge. 
Tag für Tag reduzierte ich diverse Gegenstände, die mir zunehmends völlig überflüssig erschienen und mir unnötig viel Platz wegnahmen, aus meinem Zelt. Aus Angst zu verhungern oder zu erfrieren, hatte ich nämlich Unmengen an Gepäck dabei. Natürlich vergaß ich standardmäßig beim Kofferpacken wesentliche Dinge- meine Isomatte und einen Bieröffner. Doch Not macht erfinderisch. Ich legte mich auf die Decken, die sonst auf meinem Rücksitz im Auto liegen und ich lernte eine Bierflasche mit einem Karabiner zu öffnen. Niemals zuvor schmeckte ein Bier so gut wie dieses!

Auch mein Körper freute sich über die Luftveränderung! Meine Lungen bekamen die herrliche Luft zu spüren und ich war ein paar Tage komplett befreit von dem ollen Husten. Seit der Therapie löst sich nämlich immerzu so ekliger Schleim aus meiner Lunge. Iiiihhh!!! Das ist nämlich überhaupt nicht schaaaf!
Auch beim Wandern durch den Wald fühlte ich mich richtig fit und gesund. Mir ist so, als hätte ich meine Sorgen dort zurückgelassen und ganz viel neue Energie zurückgewonnen. Einfach magisch!







Samstag, 15. August 2015

Nicht mit mir!

Ein süßer Moment der Stille. Ich atme auf. Ich spüre wie der Atem durch meine Lunge strömt- kein Kloß im Hals, kein Engegefühl im Brustkorb. Freiheit. Ich genieße jede Sekunde des Tages- yippie - ich kann wieder genießen! Allmählich atmet meine Seele auf. Mehr als ein Jahr lang drehte sich fast alles um meinen Körper und seit ein paar Wochen lass ich jeden Tag ein Stück Schmerz zurück und gewinne dafür einen Bruchteil an Zuversicht wieder. Wie lang habe ich diesen Tag herbeigesehnt- diesen Tag an dem ich frei bin von Angst und Traurigkeit. Es fühlt sich so an als wäre ich noch einmal neu geboren worden, mit dem Unterschied, dass ich jetzt nicht mehr bei Null anfangen muss.
Ich weiß, dass dieses Gefühl von großer Dankbarkeit nicht ewig anhalten wird. Auch von Traurigkeit und Angst bleibe ich nicht auf ewig verschont. Irgendwann wird der Alltag wieder einkehren. Mir ist völlig bewusst, dass ich mir meine Freiheit selbst erkämpfen muss. Die Gesellschaft wird ihr übriges dazu beitragen, um mich in ihren Fesseln zu halten. Angepasst, leistungsorientiert und genügsam mit meiner sogenannten "Freizeit", soll ich mich schnellstmöglich in das altbewährte Raster wieder einfügen. Nicht zu vergessen mit einem vernünftigen Mann an der Seite, weil Single sein, beinahe so schlimm ist, wie an einem Krebsgeschwür zu erkranken. Hach, bloß gut, dass ich bereits Erfahrung mit beiden Lebensmodellen habe.
Ich habe die Nase voll von gesellschaftlich auferlegten Dogmen und Leuten, die zu wissen glauben, was gut für mich sei! Ich habe den Krebs aus eigener Kraft besiegt und die Depression bewältige ich auch- in meinem eignen Tempo. Niemand soll mehr über mich urteilen dürfen wie ich mich am Besten zu verhalten habe. Ich sage, wen es nervt, mich auf diesem umständlichen Weg zu begleiten, der hat es auch nicht verdient den Wald- und Wiesenweg mit mir zu gehen. Ich habe genug von leeren Versprechungen! Lieber verbringe ich die Zeit allein als mit den falschen Leuten an der Seite. Lieber habe ich einen ausgewählten Kreis an Freunden, die ich nicht täglich sehe, die es dafür aber ehrlich mit mir meinen. Dann bin ich mit mir im Reinen und mein Leben wird gelebt. Ich habe mich für den Hardcore- Weg entschieden! Hamsterrad und Einbahnstraße- nicht mit mir!


Sonntag, 2. August 2015

Balthasar

Letzten Freitag besuchte ich meine ehemaligen Mitpatienten aus der Tagesklinik. Da ich vorzugsweise mit der Bahn anreise, nutzte ich  auch diesmal die Wartezeit bis zur Ankunft der nächsten S-Bahn, zum Herumstöbern in der Ludwig- Buchhandlung am Hauptbahnhof Leipzig.

Das Flanieren zwischen den Bücherregalen hat immer etwas Magisches an sich. Manchmal bleibe ich instinktiv vor einem Stapel Bücher stehen und greife dann zu einer Lektüre, die genau zu meiner momentanen Lebenssituation passt.
Auch diesmal war es wieder Liebe auf den ersten Blick. In meiner Hand hielt ich den Roman "Rucksackkometen" von Stefan Ferdinand Etgeton - eine Geschichte von zwei lebenshungrigen  Freigeistern, die sich auf eine Europatour begaben. ,,Genau das ist es, was ich jetzt brauche!", war mein erster Impuls. Gerade einen Tag zuvor, hatte ich mit dem Gedanken gespielt längerfristig zu verreisen. Nun war die Sache für mich entschieden. Das ist eine dieser Verrücktheiten, denen ich unbedingt nachgehen muss. Ein Abenteuer, eine Chance, Erfahrungen zu sammeln, die jenseits der gewohnten Strukturen liegen. Schließlich weiß ich nicht, welche Überraschung mein Körper als nächstes für mich bereithält?! Vielleicht hilft mir eine Reise auch dabei, meine Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Meine Therapeuten empfahlen mir schließlich, dass ich jetzt all den Dingen nachgehen solle, die mir im Augenblick gut tun, damit würde ich meine Genesung positiv beeinflussen. Außerdem möchte ich nicht an der nächsten Infusion hängen und an meine unerfüllten Träume denken. Als ich damals im Krankenhaus lag, wusste ich bereits, dass ich Krebs hatte, aber die Art des Tumors war noch unklar. Ich betete zu Gott, Buddha, Jehova, Allah und dem Universum, und bat sie darum, mir noch mehr Zeit zu schenken. Mir war klar, ich darf diese Welt nicht verlassen, ohne sie vorher richtig kennengelernt zu haben.

Nachdem ich der Buchhändlerin mit breitem Grinsen den "Rucksackkometen" über die Ladentheke gereicht hatte, um mich ordnungsgemäß abkassieren zu lassen, klemmte ich mir meine neue Errungenschaft unter den Arm und stolzierte damit in Richtung Bahngleis 2. Die überfüllte Bahnhofshalle machte mich recht nervös, da ich in großen Menschenmengen sehr zur Reizüberflutung neige. Ich versuchte so gut es ging das Drumherum auszublenden, was mir mehr oder weniger gut gelang. Trotz Tunnelblick, entging mir nicht, wie mich ein Mann, mit honigkuchenpferdhaftem Lächeln anstarrte. Leicht irritiert ging ich an ihm vorbei, grinste unsicher, schaute verlegen zu Boden und prüfte dann noch einmal, ob mir das Lächeln galt. Insgeheim hoffte ich, nicht in eine unangenehme Situation zu geraten. Der Mann lief an mir vorbei, zögerte kurz, stoppte dann abrupt und sprach mich an. Ich dachte zunächst: ,,Oh mein Gott, hoffentlich habe ich keine falschen Signale ausgesendet.", war dann aber beruhigt als er mir sagte, dass er nicht beabsichtigte mich zu belästigen, er wollte mir lediglich mitteilen, welch sympathischen Eindruck ich bei ihm hinterlassen hatte. Es wäre ihm ein Bedürfnis gewesen mir dies mitzuteilen. Ich schaute ihn leicht verlegen und noch immer etwas irritiert an, bis ich ihm dann meine Hand hinstreckte und mich mit meinem Namen vorstellte. Er entgegnete: ,,Ich bin Balthasar".
Da ich mit meiner Intuition meist richtig liege und ich ein sicheres Gefühl bei meinem Gegenüber hatte, ließ ich mich auf eine spontane Unterhaltung ein. Balthasar wohne in Leipzig und komme allerdings ursprünglich aus Mosambik, erzählte er mir. 20 Jahre würde er nun bereits in Deutschland leben. Er habe seine Frau vor zwei Jahren verloren, wegen Brustkrebs. Seither kümmere er sich um seine fünfjährige Tochter. Er hielt kurz inne. Ich schaute ihn mitfühlend an, fühlte mich zudem durch das Schicksal seiner Frau, mit ihm verbunden. Ich spürte, dass er mit den Tränen kämpfte. Balthasar hielt in seiner linken Hand eine Flasche Bier, wollte diese gerade öffnen und als wäre es ihm unangenehm, versicherte er mir, er wäre kein Alkoholiker und fragte mich, ob ich auch gern etwas trinken wolle...er würde mir auch ein Bier besorgen, sagte er entgegenkommend. Ich schmunzelte ihn an und lehnte dankend ab. Er zeigte auf die Beule unter seinem Shirt, etwa in Brusthöhe, versicherte mir, dass er dort lediglich seine Dokumente aufbewahren würde und nichts Gefährliches bei sich habe, aber am Bahnhof häufigen Kontrollen ausgesetzt wäre und er deshalb seine Papiere immer bei sich haben müsse. Verwundert schaute ich ihn an und fragte mich insgeheim, ob auch hellhäutige Passanten so regelmäßig kontrolliert werden und weshalb er sich für jede Kleinigkeit zu rechtfertigen bemühte. Ich unterbrach ihn für einen Augenblick, beruhigte ihn, dass er sich vor mir nicht erklären müsse und staunte darüber, dass er sich trotz der angeblichen Negativerfahrungen so vertrauensvoll und offenherzig mit mir unterhielt. Wir tauschten uns noch einige Minuten aus, dann sagte mir Balthasar etwas, das ich nicht vergessen werde:,,Es ist meine Bestimmung mich um meine Tochter zu kümmern. Gott hat mir diese Aufgabe anvertraut. Es war seine Entscheidung, dass er meine Frau zu sich genommen hat. Ich sträube mich nicht dagegen. Es sollte so sein.". Dann fügte er noch hinzu: ,,Auch, dass ich dir über den Weg gelaufen bin, war kein Zufall. Gott hat es so gewollt.". Wir lächelten uns an. Ich verabschiedete mich von Balthasar, da ich meine Bahn noch schaffen wollte.

Diese sieben Minuten in der Bahnhofshalle, bestätigten mich noch einmal in meinem Vorhaben. Ich muss mehr Menschen kennenlernen, die so sind wie Balthasar. Menschen, aus deren Begegnung ich mehr mitnehme, als aus einer viertel Stunde Tagesschau mit Berichten über die sogenannte "Flüchtlingsproblematik". Wenn wir völkerübergreifend miteinander ins Gespräch kommen, merken wir hoffentlich endlich, dass wir in erster Linie, Menschen, die in großer Not sind, in unser Land aufnehmen, bevor wir damit beginnen, ihnen den Stempel "Ausländer" aufzudrücken.

Samstag, 1. August 2015

Auf keinen Fall pflegeleicht

Diese Woche hat mal wieder bewiesen, dass alles ganz schnell vorbei sein kann. Mein Kardiologe diagnostizierte bei mir ein "hyperkinetisches Herzsyndrom" (das Gott sei Dank reversibel ist!!)...aber mittels Ultraschall wurde außerdem noch erkannt, dass die Bestrahlung mein Herzgewebe beschädigt hat. Es ist nun für immer und ewig vernarbt- mein gerade mal 22 Jahre altes Herz. "Erstmal ruhig bleiben", hab ich mir gesagt, aber ich beherrsche die Theorie oft besser als die Praxis. Deshalb habe ich mich ganz auf Jul'sche Art da erstmal kräftig hineingesteigert. Oh ja, darin bin ich wirklich gut! Ich habe meine Gewebsvernarbung ausgiebig betrauert.
Die Höllentherapie ist gerade mal ein Jahr her. Mir wurde noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass durch meine Venen kein Rosenwasser floss und die Strahlentherapie auch kein Besuch auf der Sonnenbank war. Die Auswirkungen von Gammastrahlen und Giftinfusionen, bekomme ich nun wieder ganz deutlich zu spüren. Mein Körper ist immer noch ein riesiges Schlachtfeld. In meinen Zellen findet ein Kampf statt, in dem es wahrlich um Leben und Tod geht. Beschädigte Zellen wehren sich, wollen sich erneuern. Andere Zellen wiederum halten den Einflüssen der Toxine nicht stand und schrumpeln ergiebig zusammen, vernarben oder werden abgebaut. Frei nach dem Motto: "Nur die Harten kommen in den Garten", wird tagtäglich neu aussortiert. So wie ich derzeit mental klar Schiff mache, wird auch auf Körperebene ordentlich umstrukturiert.
Ein positiver Nacheffekt solcher Hiobsbotschaften, ist das wohlig warme Gefühl, das ich in meiner Magengegend spüre, wenn mir klar wird, die Lebenszeit ist begrenzt, aber die Zeit, die ich habe, ist verdammt nochmal zum Genießen da. In Abständen brauche ich solch einen liebevollen Arschtritt.  Zu erkennen, dass in jedem Tag eine neue Chance liegt, pusht mich ungemein. Ich möchte gar nicht mehr anders leben. Ich brauche den Tod im Nacken, sonst fehlt mir die Spannung. Ich liebe all diese qualvollen Momente, in denen ich bis an meine Grenzen getrieben werde. Ich liebe das friedvolle Gefühl, das nach einem Seelengewitter in mir einzieht. Freude und Glück kann man nur in dieser Intensität empfinden, wenn man auch die bitteren Gefühle in sein Leben zu integrieren weiß. Wäre ich ein Haufen Wäsche, wäre mein Waschprogramm auf keinen Fall "pflegeleicht". Doch von diesem Leben im Chaos aus Emotionen, möchte ich nicht eine Sekunde missen. All das gehört zu mir, ist Teil meiner Persönlichkeit und darf so sein. Genauso hab ich mich gern!