Sonntag, 2. August 2015

Balthasar

Letzten Freitag besuchte ich meine ehemaligen Mitpatienten aus der Tagesklinik. Da ich vorzugsweise mit der Bahn anreise, nutzte ich  auch diesmal die Wartezeit bis zur Ankunft der nächsten S-Bahn, zum Herumstöbern in der Ludwig- Buchhandlung am Hauptbahnhof Leipzig.

Das Flanieren zwischen den Bücherregalen hat immer etwas Magisches an sich. Manchmal bleibe ich instinktiv vor einem Stapel Bücher stehen und greife dann zu einer Lektüre, die genau zu meiner momentanen Lebenssituation passt.
Auch diesmal war es wieder Liebe auf den ersten Blick. In meiner Hand hielt ich den Roman "Rucksackkometen" von Stefan Ferdinand Etgeton - eine Geschichte von zwei lebenshungrigen  Freigeistern, die sich auf eine Europatour begaben. ,,Genau das ist es, was ich jetzt brauche!", war mein erster Impuls. Gerade einen Tag zuvor, hatte ich mit dem Gedanken gespielt längerfristig zu verreisen. Nun war die Sache für mich entschieden. Das ist eine dieser Verrücktheiten, denen ich unbedingt nachgehen muss. Ein Abenteuer, eine Chance, Erfahrungen zu sammeln, die jenseits der gewohnten Strukturen liegen. Schließlich weiß ich nicht, welche Überraschung mein Körper als nächstes für mich bereithält?! Vielleicht hilft mir eine Reise auch dabei, meine Seele wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Meine Therapeuten empfahlen mir schließlich, dass ich jetzt all den Dingen nachgehen solle, die mir im Augenblick gut tun, damit würde ich meine Genesung positiv beeinflussen. Außerdem möchte ich nicht an der nächsten Infusion hängen und an meine unerfüllten Träume denken. Als ich damals im Krankenhaus lag, wusste ich bereits, dass ich Krebs hatte, aber die Art des Tumors war noch unklar. Ich betete zu Gott, Buddha, Jehova, Allah und dem Universum, und bat sie darum, mir noch mehr Zeit zu schenken. Mir war klar, ich darf diese Welt nicht verlassen, ohne sie vorher richtig kennengelernt zu haben.

Nachdem ich der Buchhändlerin mit breitem Grinsen den "Rucksackkometen" über die Ladentheke gereicht hatte, um mich ordnungsgemäß abkassieren zu lassen, klemmte ich mir meine neue Errungenschaft unter den Arm und stolzierte damit in Richtung Bahngleis 2. Die überfüllte Bahnhofshalle machte mich recht nervös, da ich in großen Menschenmengen sehr zur Reizüberflutung neige. Ich versuchte so gut es ging das Drumherum auszublenden, was mir mehr oder weniger gut gelang. Trotz Tunnelblick, entging mir nicht, wie mich ein Mann, mit honigkuchenpferdhaftem Lächeln anstarrte. Leicht irritiert ging ich an ihm vorbei, grinste unsicher, schaute verlegen zu Boden und prüfte dann noch einmal, ob mir das Lächeln galt. Insgeheim hoffte ich, nicht in eine unangenehme Situation zu geraten. Der Mann lief an mir vorbei, zögerte kurz, stoppte dann abrupt und sprach mich an. Ich dachte zunächst: ,,Oh mein Gott, hoffentlich habe ich keine falschen Signale ausgesendet.", war dann aber beruhigt als er mir sagte, dass er nicht beabsichtigte mich zu belästigen, er wollte mir lediglich mitteilen, welch sympathischen Eindruck ich bei ihm hinterlassen hatte. Es wäre ihm ein Bedürfnis gewesen mir dies mitzuteilen. Ich schaute ihn leicht verlegen und noch immer etwas irritiert an, bis ich ihm dann meine Hand hinstreckte und mich mit meinem Namen vorstellte. Er entgegnete: ,,Ich bin Balthasar".
Da ich mit meiner Intuition meist richtig liege und ich ein sicheres Gefühl bei meinem Gegenüber hatte, ließ ich mich auf eine spontane Unterhaltung ein. Balthasar wohne in Leipzig und komme allerdings ursprünglich aus Mosambik, erzählte er mir. 20 Jahre würde er nun bereits in Deutschland leben. Er habe seine Frau vor zwei Jahren verloren, wegen Brustkrebs. Seither kümmere er sich um seine fünfjährige Tochter. Er hielt kurz inne. Ich schaute ihn mitfühlend an, fühlte mich zudem durch das Schicksal seiner Frau, mit ihm verbunden. Ich spürte, dass er mit den Tränen kämpfte. Balthasar hielt in seiner linken Hand eine Flasche Bier, wollte diese gerade öffnen und als wäre es ihm unangenehm, versicherte er mir, er wäre kein Alkoholiker und fragte mich, ob ich auch gern etwas trinken wolle...er würde mir auch ein Bier besorgen, sagte er entgegenkommend. Ich schmunzelte ihn an und lehnte dankend ab. Er zeigte auf die Beule unter seinem Shirt, etwa in Brusthöhe, versicherte mir, dass er dort lediglich seine Dokumente aufbewahren würde und nichts Gefährliches bei sich habe, aber am Bahnhof häufigen Kontrollen ausgesetzt wäre und er deshalb seine Papiere immer bei sich haben müsse. Verwundert schaute ich ihn an und fragte mich insgeheim, ob auch hellhäutige Passanten so regelmäßig kontrolliert werden und weshalb er sich für jede Kleinigkeit zu rechtfertigen bemühte. Ich unterbrach ihn für einen Augenblick, beruhigte ihn, dass er sich vor mir nicht erklären müsse und staunte darüber, dass er sich trotz der angeblichen Negativerfahrungen so vertrauensvoll und offenherzig mit mir unterhielt. Wir tauschten uns noch einige Minuten aus, dann sagte mir Balthasar etwas, das ich nicht vergessen werde:,,Es ist meine Bestimmung mich um meine Tochter zu kümmern. Gott hat mir diese Aufgabe anvertraut. Es war seine Entscheidung, dass er meine Frau zu sich genommen hat. Ich sträube mich nicht dagegen. Es sollte so sein.". Dann fügte er noch hinzu: ,,Auch, dass ich dir über den Weg gelaufen bin, war kein Zufall. Gott hat es so gewollt.". Wir lächelten uns an. Ich verabschiedete mich von Balthasar, da ich meine Bahn noch schaffen wollte.

Diese sieben Minuten in der Bahnhofshalle, bestätigten mich noch einmal in meinem Vorhaben. Ich muss mehr Menschen kennenlernen, die so sind wie Balthasar. Menschen, aus deren Begegnung ich mehr mitnehme, als aus einer viertel Stunde Tagesschau mit Berichten über die sogenannte "Flüchtlingsproblematik". Wenn wir völkerübergreifend miteinander ins Gespräch kommen, merken wir hoffentlich endlich, dass wir in erster Linie, Menschen, die in großer Not sind, in unser Land aufnehmen, bevor wir damit beginnen, ihnen den Stempel "Ausländer" aufzudrücken.

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